Eine Münchner Tram vom Typ Variobahn befindet sich auf dem Sprung ins GUINESS WORLD RECORDS Buch. Der mit einer neu entwickelten Lithium-Ionen-Batterie ausgestattete Zug fuhr heute 16 km ohne Oberleitung und dürfte damit eine neue Rekordmarke für das Buch der Weltrekorde setzen. Der Versuch auf einer Teststrecke in Velten bei Berlin fand daher unter notarieller Aufsicht statt und wurde gutachterlich begleitet. Der Stromabnehmer der Variobahn musste für die Dauer des Rekordversuchs versiegelt werden. Die mit zwei Fahrern besetzte Tram durfte zum Fahrtrichtungswechsel auf der eingleisigen, ca. 3,5 km langen Strecke maximal fünf Sekunden stillstehen. Zusätzlich wurden sämtliche Aktivitäten durch Streckenposten am Gleis überwacht und mit Kameras dokumentiert. Um in das Guiness-Buch eingetragen zu werden, muss die Variobahn mindestens einen Kilometer batteriebetrieben fahren.
Bei der Tram handelt es sich um eine Variobahn des Herstellers Stadler Pankow GmbH, die für München bestimmt ist. Die Stadtwerke München (SWM) haben den Zug für die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) mit der Hochleistungsbatterie ausstatten lassen, um in der bayerischen Landeshauptstadt auf einer Teilstrecke einen fahrleitungslosen Betrieb zu realisieren. Konkreter Anwendungsfall wäre die so genannte Tram-Nordtangente. Sie hat nachgewiesenermaßen einen besonders hohen verkehrlichen Nutzen, weil mit einem nur 2 km langen Lückenschluss die Einrichtung einer rund 8 km langen Tangentialverbindung von Neuhausen-Nymphenburg bis nach Bogenhausen möglich wäre, die nach allen Prognosen stark genutzt würde und daher auch wirksam zur Entlastung der Innenstadtstrecken beitragen könnte. Eine Durchbindung bis nach St. Emmeram würde eine Verlängerung auf bis zu 13 km ermöglichen. 1 km der Neubaustrecke verläuft allerdings durch den Englischen Garten.
Genau aus diesem Grund scheiterte 2001 ein erstes Planfeststellungsverfahren; die zuständige Genehmigungsbehörde befürchtete damals, dass sich Fahrleitungen und Masten negativ auf das Landschaftsbild auswirken. Daher planen SWM/MVG nun, die Tram mit Batterieantrieb ohne Oberleitungen durch den Englischen Garten fahren zu lassen.
Die 380 kg schwere Batterie erfüllt alle Anforderungen, die sich aus der Münchner Streckencharakteristik ergeben. Berücksichtigt wurden unter anderem die Länge der fahrleitungslosen Strecke durch den Englischen Garten (ca. 1 km), ein Haltestellenaufenthalt, ein weiterer ggf. erforderlicher betrieblicher Stopp, jeweils mit Bremsen und Anfahren, sowie die Topographie. Ausgelegt ist die Batterie zudem darauf, dass die Trambahn diesen Abschnitt nicht nur einmal, sondern zweimal ohne Nachladen bewältigen könnte, wenn ansonsten unter Fahrleitung gefahren und eine Wiederaufladung des Speichers ermöglicht wird. Der Testzug kommt zurück nach München, sobald die Technische Aufsichtsbehörde bei der Regierung von Oberbayern die Zulassung für die Fahrzeuge vom Typ Variobahn erteilt hat. In München werden dann weitere Testfahrten im MVG-Netz stattfinden. Sollte sich auch dabei herausstellen, dass die Batterie-Technik reibungslos funktioniert und allen Anforderungen genügt, streben SWM/MVG einen erneuten Antrag auf Planfeststellung für die Nordtangente an.
Die Batterie-Tram ist einer von vier Zügen aus dem ersten Lieferlos für München. Zehn weitere Variobahnen befinden sich zurzeit im Bau und werden bis Jahresende an SWM/MVG ausgeliefert. Sämtliche Fahrzeuge sind für eine Nachrüstung mit Batterien vorbereitet.
Michael Daum, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadler Pankow GmbH: „Nachdem die Variobahn mit Erfolg weltweit im Betrieb ist und dabei auf mehr als 30 Mio Betriebskilometer zurückblickt, sind wir jetzt auch in der Lage, unter Anwendung modernster Technologie erhebliche Strecken auch oberleitungsfrei zurückzulegen. Stadler schreibt heute, mit dieser Testfahrt Straßenbahngeschichte."
Herbert König, Vorsitzender der MVG-Geschäftsführung und SWM Geschäftsführer Verkehr: „Mit dem möglichen Einsatz von Energiespeichern auf einem Tramzug befassen wir uns schon seit einigen Jahren. Dabei wurden mit der Industrie intensiv die diversen Möglichkeiten diskutiert und auch erste Erfahrungen, z. B. vom Batterie-Einsatz bei der Straßenbahn in Nizza, einbezogen. Für unseren Anwendungsfall – die Überbrückung eines 1 km langen Abschnitts – eignet sich am besten eine Lithium-Ionen-Batterie, die die Energie zwar langsamer speichert als Supercaps wie sie z. B. in Heidelberg im Einsatz sind, dafür aber mehr Strom aufnehmen kann und somit auch längere Streckenabschnitte ohne Nachladen überwindet. Der heutige Versuch hat gezeigt, dass uns die Lithium-Ionen-Batterie locker in die Lage versetzt, einen fahrleitungslosen Betrieb im Englischen Garten zu realisieren."
König weiter: „Klar ist: Im Unterschied zum heutigen Rekordversuch, bei dem die technisch heute mögliche Reichweite einer Tram-Batterie demonstriert wurde, kommt es für die praktische Anwendung darauf an, dass die Batterie exakt auf die örtlichen Anforderungen abgestimmt, passgenau – auch in Bezug auf die mögliche Achslast der Fahrzeuge – und möglichst wirtschaftlich dimensioniert ist. Dabei ist es wichtig, dass die Batterie im Normalfall nur teilweise, zu ca. 10 bis 15 Prozent, entladen wird, weil dann ihre Lebensdauer am höchsten ist. Genau so ist diese Batterie für den Bezugsfall ‚Nordtangente München' ausgelegt und optimiert: Entladung durch Querung Englischer Garten ohne Fahrdraht im Normalfall nur bis auf ca. 85-90 Prozent ihrer Kapazität, dann Wiederaufladung unter dem Fahrdraht der übrigen Strecke. So wäre ein stabiler Betrieb mit ausreichenden Reserven und optimierter Batterielebensdauer möglich. Dieser Nachweis wurde heute erbracht!"