Platz für etwa 60 Fahrgäste und deutlich kostengünstiger als eine neue Straßenbahn: Dies sind die wesentlichen Vorteile von Straßenbahn-Beiwagen, deren Einsatz die Kasseler Verkehrs-Gesellschaft AG (KVG) prüfen wird. Bis zu zehn gebrauchte Niederflur-Anhänger kann das Kasseler Nahverkehrsunternehmen von der Rostocker Straßenbahn AG für je rund 30.000 Euro kaufen. Das erste Fahrzeug wird voraussichtlich am Montag, 18. November, gegen 22.30 Uhr, per Schwertransport aus Rostock im KVG-Betriebshof Wilhelmshöhe eintreffen. Das Abladen beginnt dort am folgenden Tag etwa um 9.30 Uhr.

Zunächst wird der Wagen technisch umgerüstet. Zum Beispiel muss seine Kupplung ausgetauscht werden, weil sie nicht zu den Trams der KVG passt. Auch die Bremsen müssen der bergigen Kasseler Topographie angeglichen werden. Sobald dieser Prozess beendet ist, wird die KVG den blauen Anhänger auf ihren Strecken testen. Nach derzeitigen Plänen soll er ab etwa Mai 2014 im Linienverkehr fahren.

Auslöser für den Beiwagentest sind steigende Fahrgastzahlen: Allein im Jahr 2012 waren mehr als 43,5 Millionen Menschen mit den Bussen und Bahnen der KVG unterwegs, auf den Strecken ihres 50 Prozent-Beteiligungsunternehmens RBK GmbH durch das Lossetal und nach Baunatal weitere rund 2,2 Millionen Fahrgäste. Anhänger bieten die Chance, die Platzkapazitäten zu vertretbaren Betriebskosten und mit vergleichsweise geringen Änderungen der Infrastruktur zu erhöhen. Die Anschaffung neuer Fahrzeuge wäre zu teuer. Deshalb wird die KVG prüfen, ob die deutlich kostengünstigeren gebrauchten Anhänger aus Rostock ihren Fahrzeugpark sinnvoll ergänzen können.

Eingesetzt werden sollen sie übergangsweise auf der stark nachgefragten Linie 1, solange eine vollständige Umsetzung des dafür beschlossenen Doppeltraktionskonzeptes noch nicht möglich ist. Im kommenden Jahr können hier zunächst nur etwas mehr als die Hälfte aller Fahrten mit Doppeltraktionen besetzt werden. Auf der Linie 1 durchgängig zwei hintereinander gekuppelte Straßenbahnen verkehren zu lassen, wird voraussichtlich erst im Jahr 2015 möglich. Bis dahin können Beiwagen eine Zwischenlösung bieten.

Weiteres wird sich eventuell aus den Ergebnissen der ab dem Fahrplanwechsel 2014/2015 möglichen Anpassungen im Liniennetz ableiten, die die KVG derzeit eng abgestimmt mit der Stadt Kassel entwickelt. Dabei könnten Beiwagen auf besonders nachgefragten Linien fahren, auf denen einzeln verkehrende Bahnen nicht ausreichen, Straßenbahn-Doppeltraktionen aber nicht erforderlich sind. Eine neue Bahn kostet mit etwa drei Millionen Euro etwa das 20-fache eines umgerüsteten gebrauchten Anhängers, der jedoch auch weniger Platz bietet und weniger flexibel verwendbar ist. Insofern könnte der Einsatz von Beiwagen zwar dauerhaft möglich sein, ist dann aber nur auf bestimmten Linien geeignet. Die ersten Praxiserfahrungen sollen deshalb die Basis für eine verkehrliche und wirtschaftlich begründete Entscheidung liefern.

Die zehn Beiwagen des Herstellers Bombardier waren von 2001 an in Rostock im Einsatz. Das Unternehmen nahm 15 seiner 22 Anhänger im aktuellen Jahr außer Betrieb und bot sie anderen ÖPNV-Unternehmen zum Kauf. Beiwagen sind für die KVG nichts grundsätzliches Neues: Bis zum Jahr 2003 waren sie als Hochflurmodelle im Linienbetrieb und wurden von neuen Niederflur-Straßenbahnen abgelöst.

Technische Daten (Auswahl) des Beiwagens:

Baujahr: 2001 – 2003
Länge (ohne Kupplungen): 14,5 m
Breite: 2,20 m
Höhe (Dachkante): 3,11 m
Leergewicht: 12,8 T
Sitz- u. Stehplätze: 73 (Herstellerangabe, die KVG kalkuliert ca. 60)
Türen: 3 (Hersteller: Fa. Bode)
Raddurchmesser Max./min.: 550 - 510
Bremse: Hydraulische Federspeicherbremse
Umformer: Betriebsspannung 600 – 750 V (Hersteller: Fa. Kiepe)