Zu schade fürs Abstellgleis: Die ersten beiden modernisierten Stadtbahnen werden ab sofort im Linienbetrieb eingesetzt. Sie feierten am Samstag, 15. Dezember, bei strahlend schönem Sonnenwetter ihr Comeback, nachdem sie im Jahr 1974 erstmals in Dienst gestellt worden waren und mehr als drei Jahrzehnte im Liniennetz rollten. Jetzt erleben die Bahnen nach kompletter Demontage und umfangreichem Neuaufbau mit modernster Technik ihre zweite Inbetriebnahme.
NRW-Verkehrsminister Michael Groschek hat am Samstag mit vielen Gästen aus Politik und Wirtschaft auf der Stadtbahnlinie 66 die Wiederinbetriebnahme vorgenommen und war einer der ersten Fahrgäste auf der Fahrt von der SWB-Werkshalle in Bonn-Beuel nach Bad Honnef.

In den vergangenen zwei Jahren sind die Bahnen in der SWB-eigenen Werkstatt und von eigenem Personal „zweiterstellt", also grundlegend modernisiert worden. Während der feierlichen Inbetriebnahme in der SWB-Werkstatt in Beuel ist vor allem der Mut gewürdigt worden, mit dem das kommunale Verkehrsunternehmen eine solch unkonventionelle Lösung realisiert hat. Statt 25 neue Fahrzeuge zu erwerben, wollen die Stadtwerke Bonn vorerst 25 Fahrzeuge modernisieren und sparen so im Vergleich zur Neuanschaffung rund 47 Millionen Euro.

"Dass die Stadtwerke Bonn ihre alten Stadtbahnwagen vor dem Abstellgleis bewahren, ist absolut spitze", sagte NRW-Verkehrsminister Michael Groschek. "Das ist nachhaltiger Umgang mit Ressourcen, weil solide deutsche Wertarbeit aus den 70er Jahren nicht verschrottet, sondern weiter verwendet wird. Zudem werden öffentliche Mittel sehr effizient eingesetzt und hochqualifizierte Handwerksarbeitsplätze neu geschaffen und gesichert. Die neue Bonner Stadtbahn ist ein kundenfreundliches Fahrzeug, eine schicke und moderne Stadtbahn. Hier werden Maßstäbe gesetzt. Ich bin mir sicher, es werden noch viele Bahnen folgen, denn unsere Verkehrsinfrastruktur braucht dringend Modernisierung. Upcyclen, also aus alten Sachen hochwertige und neue Dinge machen, ist absolut im Trend; die Stadtwerke Bonn sind dabei Trendsetter. Das ist ein ganz tolles Made in Germany!"

„Wir haben uns bewusst gegen die Neuanschaffung von Stadtbahnfahrzeugen ausgesprochen, also gegen eine konservative Lösung", erläuterte Stadtwerke-Geschäftsführer Heinz Jürgen Reining. „Unser Team ist überzeugt, dass wir für unseren Kunden mit dieser mutigen Entscheidung die qualitativ besseren und deutlich günstigeren Bahnen zur Verfügung stellen." Reining dankte allen, die diese Entscheidung mitgetragen haben, und dem Team, das dieses anspruchsvolle Projekt umsetzt. „Diese Teamarbeit hat uns stark gemacht. Ich danke auch dem Aufsichtsrat, dafür, dass diese Entscheidung mitgetragen worden ist. Wir möchten nicht nur Fahrgäste von A nach B befördern, sondern Verantwortung übernehmen. So verstehen wir moderne Dienstleistung für unsere Kunden."

Auch Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch war einer der ersten Fahrgäste der zweiterstellten Bahnen: „Dies ist in mehrfacher Hinsicht Wirtschaftsförderung: Es entstehen vor Ort Arbeitsplätze, aber dieses Projekt wird national und international ausstrahlen. Denn es steht im Zeichen der Nachhaltigkeit. Es ist ein fantastisches Beispiel für nachhaltiges Handeln, nicht nur für die Stadtwerke Bonn, sondern für Bonn, den Standort und auch gut für Nordrhein-Westfalen."

Der Landrat des Rhein-Sieg-Kreises, Frithjof Kühn, der über die Gesellschaft SSB am Betrieb der Stadtbahnlinie 66 beteiligt ist, schloss sich dem an: „Dies ist ein Anfang mit diesen beiden ersten Fahrzeugen. Wir tragen Mitverantwortung für die Zehntausende von Fahrgästen, die diese wichtige ÖPNV-Linie nutzen. Ich setze mich selbstverständlich im Sinne der Fahrgäste für Qualität ein und dies ist wirtschaftlich gesehen ein preiswertes Beispiel, Fahrgästen moderne Fahrzeuge anzubieten. Dafür vielen Dank an die Geschäftsführung."

Die Aufsichtsräte der Stadtwerke Bonn GmbH und des Verkehrsbetriebes lobten vor allem das Team, das mit Motivation und Innovationskraft dieses Projekt gestemmt hat. „Wir haben selbstverständlich am Anfang die Frage nach der Wirtschaftlichkeit gestellt", so der Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke, Dr. Klaus-Peter Gilles. „Aber es ist schnell deutlich geworden: Dieses Projekt ist betriebswirtschaftlich. Motivation und Innovation sind zudem wichtige Aspekte dieses Projekts. Außerdem gibt es Vorteile bei Wartung und Instandhaltung. Das ist ein tolles, sehr innovatives Projekt. Danke an alle, die den Mut dafür aufgebracht haben."

Der Aufsichtsratsvorsitzender der SBW Bus und Bahn, Werner Esser betonte, dass vor allem die Fahrgäste von diesem Projekt profitierten. „Die neuen Bahnen bieten einen tollen Fahrgastkomfort. Wir haben hier in Bonn einen qualitativ hochwertigen ÖPNV, der zudem auf einen weiteren Ausbau wartet." Er dankte der Umbau-Crew und allen Beteiligten: „Dieses Projekt wird innerbetrieblich auch auf das Unternehmen Stadtwerke ausstrahlen!"

Der Landtagsabgeordnete Rolf Beu, auch Mitglied im Aufsichtsrat der SWB Bus und Bahn, erinnerte an die 70er Jahre: „Seitdem laufen diese alten Bahnen, seit Gründung des Bonner Stadtbahnnetzes. Viele unserer neueren Bahnen, die kaum zehn Jahre alt sind, laufen nicht so gut wie unsere 35 Jahre alten Bahnen. Es ist wichtig, den Anbietermonopolen etwas anderes entgegenzusetzen. So etwas wie hier in Beuel. Hier werden Arbeitsplätze geschaffen und Geld gespart, das in neue Verkehrsangebote investiert werden kann."

Die beiden ersten Resultate des „Aus-alt-mach-neu-Konzeptes" starten am 3. Advent, Sonntag, 16. Dezember, in den Linienbetrieb. Bevor jedoch die neue Stadtbahn am dritten Advent im Linieneinsatz auf der Linie 66 eingesetzt wird, übernehmen die Bonner Fahrgäste selbst die Regie für eine zweieinhalbstündige Eröffnungsveranstaltung. Rund 120 Stadtbahnfans, die sich via Facebook zusammengeschlossen haben, treffen sich um 10 Uhr im großen Saal des Woki am Bertha-von-Suttner-Platz, um anschließend mit Musik und Bewirtung nach Bad Honnef und zurück zu fahren.

Das „Comeback des Jahres" – wie die Lackierung der ersten Bahnen verrät – zeigt einen „alten" Wagen in ganz neuem modernen Design und neuer technischer Ausstattung, die auf eine weitere Lebensdauer von 25 Jahren ausgerichtet ist. So lässt sich heute von Fahrgästen nicht mehr erkennen, dass die Bahnen bereits rollten, als VW den ersten Golf auf den Markt brachte, in Bonn Walter Scheel als Bundespräsident amtierte und Helmut Schmidt das Amt des Bundeskanzlers von Willy Brandt übernahm. Von den Fahrgästen werden die Stadtbahnen aus den 70ern als Neu-Fahrzeuge wahrgenommen.

Hintergrund: Solide Qualität war zu schade für das Abstellgleis.

Hinter dem „Comeback des Jahres" steckt eines der interessantesten und erfindungsreichsten Projekte in der Geschichte der Stadtwerke Bonn. Denn die beiden Bahnen, die ab Dezember in den Linieneinsatz starten, sind nagelneu und gleichzeitig Oldtimer. Sie wurden Mitte der 70er Jahre als „Typ B 100" bei der Düsseldorfer Waggonfabrik (Duewag) gekauft und in Dienst gestellt, als in Bonn die erste U-Bahn eröffnet wurde. Seitdem rollen sie auf den Linien 63, 66, 67, 68 und 16, 18.

Nach fast vier Jahrzehnten im Dauereinsatz sollten 25 Bahnen aus den Baujahren 1974 bis 1977 ausgemustert werden. Aber auf der Suche nach einem Nachfolgemodell fanden die SWB-Fachleute schnell heraus: Die wenigen Bahnproduzenten weltweit liefern Produkte, die nicht so solide erscheinen, wie die alten Düsseldorfer Duewag-Bahnen. Und das zu Preisen von mehr als drei
Millionen Euro pro neue Bahn.

Trotz der hohen Laufleistung von fast 100.000 Kilometern pro Jahr ist die Grundsubstanz der alten Fahrzeuge nahezu unverwüstlich und extrem wartungsarm. Schon damals waren sie auf höchste Belastungen und Geschwindigkeiten von bis zu 120 Stundenkilometern ausgelegt.

Deshalb reifte im Jahr 2007 in einem SWB-Team der Plan, die solide Substanz zu erhalten, und mit in eigenen Werkstätten selbst in die Stadtbahnproduktion einzusteigen. Im SWB-Betriebshof Beuel wurde dafür eine Produktionshalle hergerichtet, ein Team von zehn hochspezialisierten und erfahrenen Handwerkern rekrutiert. Pensionierte Ingenieure der Firma Duewag kamen als Berater dazu. Das Projekt „Zweiterstellung" war geboren.

Zunächst werden 25 Stadtbahnen aus den 70er Jahren neu erstellt. Stückpreis: Rund 1,2 Millionen Euro. Weitere 35 Fahrzeuge (Baujahre 1983 bis 1993) sollen anschließend gegebenenfalls in einem zweiten Schritt erneuert werden. „Die Modernisierung von 25 Fahrzeugen wird uns rund 28 Millionen Euro kosten", berichtet SWB-Geschäftsführer Reining. „Daraus ergibt sich im ersten Schritt ein Einsparpotential von 47 Millionen Euro im Vergleich zur Neuanschaffung." Die zweiterstellten Bahnen werden im Betriebshof Beuel grundlegend saniert, so dass hohe Sicherheitsstandards, neue technische Anforderungen und hoher Fahrkomfort garantiert sind.

Siebeneinhalb Monate Umbauzeit sind pro Bahn in der kommenden Serienproduktion angesetzt. Anschließend sind die 40 Tonnen schweren Züge innen wie außen neu. 52 Kilometer Kabel und Leitungen werden pro Fahrzeug neu verlegt, rund 20.000 Bauteile ausgewechselt.

Eingekauft wird in aller Welt: Der zwölf Meter lange massive Deckenträger kommt zum Beispiel aus den USA, die Windschutzscheibe aus der Schweiz, die neuen elektrisch angetriebenen Türen aus den Niederlanden. Der neue Elektroantrieb bringt 600 PS auf die Schiene und speist Bremsenergie wie ein Dynamo zurück ins Netz.

Die Behindertengemeinschaft Bonn wurde konsequent an der Entwicklung des neuen Fahrgastraums beteiligt. Für mehr Sicherheit sorgen Videokameras sowie eine Sprechanlage, die in Notfällen eine rasche Kommunikation der Passagiere mit dem Fahrer ermöglicht.

Komfort und Orientierung für Kunden sowie die Arbeitsbedingungen der Fahrerinnen und Fahrer haben sich deutlich verbessert. Als „Comeback des Jahres" wirkt das Fahrzeug nun in der Front höher und dynamischer als der alte Stadtbahnwagen, obwohl die Karosserie erhalten geblieben ist. Die Fahrerkabine ist vergrößert worden, so dass der Fahrerarbeitsplatz den heutigen Standards der Ergonomie gerecht wird. Der Stadtbahnwagen hat elektrische angetriebene Türen erhalten. Die Informationseinrichtungen wurden an den neuesten Stand der Technik angepasst.