Eine Straßenbahn gehört zu den Dingen, die das Ge-sicht einer Stadt prägen. Das erklärt auch, warum Bremen, bekanntlich eine der schönsten Städte des Nordens, sogar die „schönste Straßenbahn der Welt" hat. So sah es jedenfalls der oberste Repräsentant der Hansestadtstadt, Bürgermeister Jens Böhrnsen, als er am Nikolaustag des Jahres 2005 die erste in Bremen in Dienst gestellte „GT8N-1" vor der Glocke begrüßte diese und an seinem Amtssitz vorbei Probe fuhr. An diesem Tage feierten zehntausende Bremerinnen und Bremer die Ankunft „ihrer neuen Straßenbahn" mit Probefahrten. Und viele von ihnen genossen dabei ein Stück des wohl längsten Bremer Klabens aller Zeiten - einem 36 Meter langen, allerdings in Höhe und Breite natürlich drastisch verkleinerten Abbild der neuen Bahn.

Die erste „GT8N-1" war aus Holz

Der Weg bis zur neuen Bremer Straßenbahn war von der BSAG gut vorbereitet. Rund zwei Jahre vor der Lieferung, als feststand, dass die Firmen Bombardier und Vossloh Kiepe den Lieferauftrag für 43 Fahrzeuge erhalten hatten, wurde der erste Prototyp aus Holz gebaut. Um genau zu sein, waren es die Fahrerkabine und etwa sechs Meter des vorderen Fahrgastraumes. Die hölzerne Fahrgastkabine diente dazu, den zukünftigen Arbeitsplatz der Straßenbahnerinnen und Straßenbahner optimal zu gestalten. Die Bedienungselemente und die Sitze sollten passen – und zwar zur kleinsten Bremer Straßenbahnfahrerin wie auch zum größten Fahrer. Zwar handelt es sich bei dem „GT8N-1" letztlich um ein Fahr-zeug der „Flexcity Classic"-Baureihe aus dem Hause Bombardier mit Elektro-Technik aus dem Hause Vossloh Kiepe, aber die wichtigen Detailfragen innerhalb des Fahrzeuges wurden von der Kundschaft aus Bremen mit ihrer über hundertjährigen Straßenbahnerfahrung gelöst. Und nicht nur das, auch die Bürgerinnen und Bürger der Stadt kamen zu Wort und gestalteten „ihre Straßenbahn" direkt und tatkräftig mit.

Innenraum-Design war auch Sache der Fahrgäste

Im Rahmen von zwei Fahrgast-Foren wurden die Inneneinrichtung und Teile der technischen Ausstattung mitgestaltet. Ein Forum aus Fahrgästen im Alter von 14 bis 74 Jahren diskutierte an drei Nachmittagen mit Ingenieuren und Handwerkern der BSAG und der Lieferfirmen Anregungen und Lösungen. Heraus kamen zum Beispiel die neuen Sitzanordnungen im Bereich der Türen des Fahrzeugs und die großzügigen Abstellflächen für Kinderwagen, Gepäck und Fahrräder. Das zweite Forum setzte sich aus Expertinnen und Experten für Barrierefreiheit zusammen. Eine engagierte Gruppe aus Menschen, die Rollstühle nutzen, die nicht oder schlecht sehen oder hören können, oder die in ihren körperlichen Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind, prüfte und verbesserte gemeinsam mit den Experten der BSAG den Komfort und insbesondere die Barrierefrei-heit des Fahrzeuges. Und die Hersteller zogen mit. Sie nahmen die Vorschläge auf und änderten die Konstruktionspläne ab. Da wurden zum Beispiel neue Hublift-Rampen entwickelt, Bodenbeläge und Kommunikationsein-richtungen im Fahrzeug ausprobiert und die Sitze so angeordnet, wie es sich die Fahrgäste wünschten. Das Ganze war insbesondere für die Herstellerfirmen nicht einfach, denn der Vorstand der BSAG hatte im Vorfeld der Straßenbahn-Beschaffung genau ausgerechnet, was sich Bremen und die BSAG leisten können. „Der Preis für ein Fahrzeug darf vorne keine 2 haben", hatten die Herren verfügt – und meinten damit, dass der Anschaffungspreis einer Wageneinheit die Zwei-Millionen-Euro-Grenze nicht überschreiten durfte. Und alle zogen wieder mit. Was da im Dezember 2005 der Öffentlichkeit präsentiert wurde, fand sofort Gefallen bei Fahrgästen und Fahrpersonal. Ein optisch sehr ansprechendes, geräumiges Fahrzeug, 35 Zentimeter – und damit eine Sitzfläche – breiter als die ältere Schwester „GT8N". Bremer Motive auf den Sitzpolstern, Klimaanlage, Wechselsprechanlage und viele weitere Neuerungen und Verbesserungen wurden von den Fahrgästen gerne angenom-men.

Mehr Komfort ist auch wirtschaftlicher

Für die BSAG und die Stadt Bremen kam noch der Vorteil der hö-heren Wirtschaftlichkeit hinzu. Mehr Fahrgäste in einer Bahn, das senkt die Kosten. Zudem hatte diese Bahn nun eine abgeschlossene Fahrerkabine und für den Ticketkauf einen Automaten. Das erhöhte sofort mit Inbetriebnahme die Pünktlichkeit der Straßenbahnen, weil sich die Fahrerinnen und Fahrer noch intensiver auf das sichere Fahren konzentrieren konnten - während sie auf ihren Sitzen saßen, die mit höhenverstellbaren Fußblechen versehen waren, die eben dem größten wie der kleinsten Fahrerin gleichermaßen Komfort boten. Waren am Nikolaustag des Jahres 2005 die ersten beiden Fahr-zeuge der Serie in Bremen, sollten ihnen bis zum Jahr 2012 noch 41 weitere folgen. Verlief die Lieferung bis Fahrzeug Nummer 35 noch pünktlich, wurde das Unternehmen Bombardier im Jahr 2010 auf eine harte Prüfung gestellt. Die Spree trat über die Ufer und überschwemmte auch das Straßenbahn-Werk in Bautzen, wo diverse Straßenbahnen in unterschiedlichen Fertigungsstufen durch Wasser und Schlamm vollständig zerstört wurden. Auch Bremer Bahnen waren davon betroffen. Nach der jahrzehntelangen geschäftlichen Verbindung durfte Bombardier ein faires Verhalten der BSAG erwarten. Man einigte sich auf einen neuen Lieferplan, geduldete sich in Bremen letztlich eineinhalb Jahre länger bis zur Lieferung der Nummer 43, erhielt dafür aber ab der Nummer 36 weiterhin Fahrzeuge höchster Qualität. Und das nach einem „To-talschaden" der Produktionsstätte. Der schnelle Wiederaufbau des Werks und das sofortige Erreichen höchster Qualitätsstandards in der wieder anlaufenden Produktion brachte

Bombardier höchsten Respekt ein – nicht nur in Bremen.

Und noch etwas war bemerkenswert. Wiesen die Vorgängermodelle „GT8N" bei Lieferbeginn im Jahr 1993 noch konstruktive Mängel auf, waren die Fahrzeuge des Typs „GT8N-1" von Nummer 1 an tadellos in Ausführung und Qualität.

Vossloh Kiepe bewies: Eine Kamera ist ein Spiegel

Immer an der Seite der Firma Bombardier und mit ebenso hohen Qualitätsansprüchen an die eigene Arbeit versehen war (und ist) die Firma Vossloh Kiepe als Lieferant der Elektro-Technik. Die BSAG und die Firma Vossloh Kiepe verbindet in diesem Jahr eine fast 60 Jahre währende Partnerschaft. Am 24. Januar 1953 erhielt die BSAG den ersten „T4A/801"-Großraum-Wagen. Und der hatte einen Kontaktfahrschalter des Typs „NF 52K" der Firma Kiepe. Die gute Beziehung des Unternehmens Vossloh Kiepe mit der BSAG hält bis heute. Der „T4A" übrigens auch. Der steht heute im BSAG-Museum „Das Depot" in Sebaldsbrück und ist in Bremen besser bekannt als „Die Zigarre".
Vossloh Kiepe sorgte bei der Ausstattung der Bremer Straßenbahn bei den Genehmigungsbehörden sogar für eine kleine Sensation. Dort glaubte man bis zur Inbetriebnahme der Bremer „GT8N-1", dass ein Außenspiegel nur ein Außenspiegel ist, nicht aber eine Kamera! Und umgekehrt. Das kannte die Betriebsordnung der Straßenbahn (BO-Strab) bis zur Inbetriebnahme der „GT8N-1" in Bremen noch nicht. Aber der rechte Außenspiegel musste weg, weil er sonst wegen der Breite des Fahrzeuges an einigen Stellen im Bremer Streckennetz hängen geblieben wäre. Kiepe schaffte die „kleine Revolution", konstruierte statt eines Spiegels eine Außenkamera mit Übertragung auf einen Monitor in der Fahrerkabine und erhielt die Genehmigung für den Betrieb. Die Fachwelt staunte. Überhaupt machte das neue Bremer Fahrzeug in der Branche von sich Reden. Technische Lösungen wie die Außenkamera, der hohe Anspruch an Barrierefreiheit und die Kunde vom besonderen, „von Fahrgästen mitentwickelten" Komfort, machte national wie international die Runde. Im Laufe der vergangenen Jahre reisten Interessierte aus Europa und sogar aus Indien und aus Australien in die Hansestadt, um sich in Bremen Anregungen für die eigene Straßenbahn-Beschaffung zu holen.

Bisher längste Fahrt: Jungfernstieg, Hamburg

Auch wenn die Geschichte der GT8N-1 heute erst sieben Jahre alt ist, gibt es schon einige schöne Anekdoten zum Einsatz des Wagentyps in Bremen. Hier eine kleine Auswahl wahrer Geschichten:

Die weiteste Strecke

Die bisher weiteste Strecke schaffte im Juni 2010 der Wagen mit der Nummer 3114. Er stand für einen Tag auf dem Jungfernstieg in Hamburg. Die Strecke dorthin legte er allerdings huckepack auf einem Tieflader zurück. Der Bremer Straßenbahnwagen war Ehrengast auf dem autofreien Sonntag in Hamburg – und sollte das Interesse der Hansestädter für das dortige Straßenbahnprojekt wecken.

Der merkwürdigste Schwarzfahrer

Im Jahr 2009 wählte ein Fasan die Straßenbahn der Linie 6 als praktisches Beförderungsmittel für die Strecke von der Universität bis zu den Wiesen an der Endhaltestelle der Linie. Mehrere Fahrgäste berichteten von Begegnungen mit dem schlauen Tier. Sogar das Fernsehen hörte von der wiederholten Beförderungs-Erschleichung dieses Hühnervogels - und legte sich tagelang auf die Lauer. Der Fasan erwies sich aber leider als medienscheu.

44 Tonnen sturmfester Stahl

Im Pflichtenheft der BSAG sollte neben vielen anderen Werten auch ein Wert zur Windfestigkeit des leer rund 44 Tonnen wiegenden Gefährts beziffert werden. Im Bremen überlegte man, wie windig es in der Stadt wohl werden könnte. Die Küstennähe und das flache Umland der Stadt wurden erkannt und waren Grundlage für die Forderung: „Das Fahrzeug darf auch bei Windstärke 12 nicht umkippen." Dies verlangte das Bremer Verkehrsunternehmen von Bombardier. Die Hersteller gingen noch weiter und bestätigten dem GT8N-1 daraufhin eine noch größere Standfestigkeit: Windstärke 12 mit Böen! Damit ist die Bremer Straßenbahn vermutlich sturmfester als so manches Schiff, das in vergangenen Zeiten in Bremen gebaut worden ist.