Der Hafen von Genua ist heute im Vergleich mit den Häfen an der Nordsee nicht mehr konkurrenzfähig. Einer der Hauptgründe dafür sind die ungenügenden Eisenbahnverbindungen nach Norditalien.
„Porca miseria! Immer dieser Stau!", flucht Chauffeur Ilario Cerone. Seit nun 15 Jahren fährt Ilario mit seinem Lastwagen Container aus dem Hafen von Genau in die norditalienischen Industriegebiete. Tag für Tag steht er im Stau, zu seinem und des Endkunden Ärger. Neben den Privatautos sorgen vor allem die Lastwagen für den täglichen Verkehrskollaps im Grossraum von Genua. Das erstaunt nicht, denn 80 Prozent der ankommenden Seefracht werden auf der Strasse wegtransportiert. In Rotterdam, dem grössten europäischen Hafen, macht der Lastwagentransport gerade mal 20 Prozent aus.
Veraltete Bahninfrastruktur
Für einen modernen Hafen ist heute eine Verkehrsanbindung von hoher Kapazität zwingend. Die grossen Containerschiffe müssen aus Kostengründen möglichst schnell entladen werden, was einen effizienten Weitertransport verlangt. In Frage kommen dafür nur die Eisenbahn oder die Binnenschifffahrt.
Weil Genua im Gegensatz zu Antwerpen oder Rotterdam über keine Anbindung an ein Binnenschifffahrtsnetz verfügt, ist der Hafen auf ein effizientes Eisenbahnnetz angewiesen. Doch genau hier liegt das Problem. Die zwei Bahnlinien, welche Genua mit dem Norden verbinden, stammen aus dem 19. Jahrhundert und werden den heutigen Anforderungen des Schienengüterverkehrs nicht mehr gerecht. Enge Kurvenradien reduzieren die zulässige Höchstgeschwindigkeit der Züge und die starken Steigungen machen eine zusätzliche Lokomotive notwendig. Weiter verhindern niedrige Tunnels und Brücken, dass übergrosse Container auf den Zügen transportiert werden können. Zu diesen technischen Hindernissen kommt noch ein betriebliches Problem hinzu: Die Bahnlinien Genua–Mailand und Genua–Novara werden durch den Personenverkehr stark beansprucht, was die Kapazität für Güterzüge mindert.
Neubauprojekt stagniert
Die Lösung für dieses Problem soll die neue Eisenbahnlinie „Terzo Valico dei Giovi" bringen. Die Strecke beginnt in Tortona, 70 Kilometer südwestlich von Mailand, und endet im Hafen von Genau (vgl. Grafik). In Novi Ligure besteht Anschluss an die Strecke Richtung Alessandria und Novara. Von insgesamt 54 Kilometern verlaufen 39 Kilometer im Tunnel. Bis 2015 soll gemäss den Planern die 5 Milliarden teure „Terzo Valico dei Giovi" fertiggestellt werden. Im Februar 2010 war Spatenstich für dieses Grossprojekt. Bis jetzt stehen aber erst 500 Millionen Euro zur Verfügung. Ausländische Gelder fliessen kaum, da die Bahnlinie in Europa eine niedrige Priorität hat. Länder wie die Schweiz oder Deutschland konzentrieren sich auf die Verbindung mit den nördlichen Häfen. Wegen dieser unsicheren Finanzlage weigert sich nun der Generalunternehmer weiterzubauen. Laut Vertrag mit der italienischen Staatsbahn müsste der Generalunternehmer auf alle seine Forderungen aus früheren Aufträgen verzichten, falls die Arbeiten wegen ungenügender Finanzierung eingestellt würden. Gegen diese Klausel wehrt er sich vehement, was den Projektfortschritt stagnieren lässt. Die Verhandlungen stehen aber noch am Anfang.
Bescheidenes Wachstum
Für den Hafen von Genua ist die neue Eisenbahnstrecke „Terzo Valico dei Giovi" existentiell, um mit den Nordhäfen konkurrieren zu können. Die veraltete Hafeninfrastruktur und vor allem die schlechten Verbindungen ins Hinterland von Genua sind verantwortlich dafür, dass der Hafen im europäischen Vergleich ein bescheidenes Wachstum aufweist. Während der Hafen von Rotterdam seit 1980 seinen Güterumschlag um das 30fache steigern konnte, wuchs Genuas Gütervolumen in der gleichen Zeitperiode nur um das 15fache.
Genua braucht Lagerfläche
Probleme bereitet der Hafenbehörde von Genua auch die fehlende Lagerfläche für Container.
Eingeengt durch die gewachsene Grossstadt und die Hänge des Küstengebirges sind Veränderungen am Hafen kaum möglich. Abhilfe könnte das hinter dem Küstengebirge liegende Güterverkehrszentrum Rivalta Scrivia schaffen. Die Anlage nahe Alessandria ist eine Art „Aussenlager" des Hafens von Genua. Heute werden grössere Mengen von Containern von Genua nach Rivalta Scrivia zur Weiterverarbeitung gebracht. Umgekehrt kann das Güterverkehrszentrum den Hafen zeitnah beliefern. Damit es weiter wachsen kann, ist die Anlage von Rivalta Scrivia auf eine gute Bahninfrastruktur nach Genua angewiesen, insbesondere auf die Neubaustrecke „Terzo Valico dei Giovi".
Strasse mit Geldsorgen
Vieles im Hafen von Genua hängt von einer schnellen Verbesserung der Verkehrsverbindungen in das Hinterland ab, da sind sich Hafenbehörde und Politik einig. „Es muss etwas passieren, sonst hält in Genua gar kein Schiff mehr!", meint auch der erfahrende Chauffeur Ilario Cerone. Damit er mit seinem Lastwagen nicht mehr täglich im Stau stehen muss, ist eine 26 Kilometer lange Umfahrung geplant. Doch auch hier geht es nicht vorwärts. Finanzierungsprobleme behindern das Bewilligungsverfahren.
Autoren: Fabian Hasler, Vincent Hischier und Christoph Zurflüh