Die Jungfernbahn fährt erstmals in der Stadt Vellmar - copyright KVG AG MalmusDie symbolische Streckenfreigabe zum Auftakt und ein Konzert zum Abschluss: Diese beiden Programmpunkte bildeten die Klammer rings um die Eröffnungsfeier für die neue Straßenbahntrasse zwischen Kassel und Vellmar am Samstag, 22. Oktober. Dazwischen lagen die Premierenfahrt über die neue Strecke in der geschmückten Jungfernbahn, der offizielle Festakt und ein großes, buntes Bürgerfest in Vellmar.

Im Beisein von Hessens Verkehrsminister Dieter Posch haben heute Vormittag Kassels Oberbürgermeister Bertram Hilgen und Vellmars Bürgermeister Dirk Stochla mit einem schnellen Zug am Schleifenband die neue, etwas mehr als vier Kilometer lange Straßen-bahnstrecke zwischen ihren beiden Städten eröffnet. Die neue Tramlinie 1 wird mit Beginn des Linienbetriebes ab dem morgigen Sonntag, 23. Oktober, in den Hauptverkehrszeiten wochentags im 7,5 Minuten-Takt Vellmar und Kassel miteinander verbinden. Das Land Hessen hat 28,6 Millionen Euro der Gesamtinvestition von 37,7 Millionen Euro übernommen. Die Kasseler Verkehrs-Gesellschaft AG (KVG) hat die Trasse mit ihren acht Haltestellen in zweieinhalbjähriger Bauzeit errichtet.

Zahlreiche Schaulustige verfolgten die offizielle Streckenfreigabe durch die beiden Stadt-oberhäupter an der bisherigen Endhaltestelle Holländische Straße der Tramlinie 1. Auch diese Station an Kassels nördlichem Stadtrand hatte die KVG von Herbst 2008 bis Frühjahr 2009 umgebaut und modernisiert. Im Mai 2009 erfolgte der offizielle Spatenstich für den Weiterbau der Schienentrasse nach Vellmar.

Pünktlich um 10.30 Uhr startete die blumengeschmückte Jungferntram, gefahren von Melanie Römer. Die 34-Jährige arbeitet seit 2008 und bereits in zweiter Generation im Straßenbahn-fahrdienst der KVG und wohnt in Niedervellmar. Gäste der Premierenfahrt waren Vertreter aus Politik und Wirtschaft, darunter der Hessische Verkehrsminister Dieter Posch, Vellmars Bürgermeister Dirk Stochla, Kassels Oberbürgermeister Bertram Hilgen, KVG-Vorstands-mitglied Dr. Thorsten Ebert und der Geschäftsführer des Nordhessischen Verkehrsverbundes, Klaus-Peter Güttler, sowie Vellmarer Bürger, die am 22. Oktober ihren Geburtstag feiern. Unter den Ehrengästen befand sich auch der frühere KVG-Vorstand Professor Reiner Meyfahrt, der die neue Schienentrasse einst planerisch und politisch auf den Weg gebracht hatte.

„Erfreuliches Stück kommunaler Kooperation mit Beispielcharakter"

Bei dem anschließenden Festakt vor der Ahnatalschule in Vellmar benannte der Hessische Verkehrsminister Dieter Posch die kürzeren Reisezeiten und die damit gestiegene Attraktivität für den öffentlichen Personenverkehr als die beiden wesentlichen Pluspunkte der neuen Straßenbahnverbindung. „Ein leistungsfähiger ÖPNV sowohl innerhalb also auch außerhalb der Ballungsräume ist ein wichtiges Ziel der hessischen Mobilitätspolitik, die auf die sinnvolle Vernetzung aller Verkehrsträger setzt." Deshalb fördere das Land die Entwicklung des Schienenverkehrs in Nordhessen mit erheblichen Summen. „Allein zur Straßenbahn nach Vellmar hat das Land Hessen 28,6 Millionen Euro beigetragen und damit den Löwenanteil übernommen", erklärte Posch. Damit sei diese Maßnahme eines der Großvorhaben des ÖPNV in Hessen.

Wie der Minister weiter erläuterte, seien von 2002 bis 2010 mehr als 320 Millionen Euro für Verkehrsinvestitionen nach Nordhessen geflossen, davon mehr als die Hälfte für den öffent-lichen Nahverkehr wie die RegioTram, die Lossetalbahn und die Kurhessenbahn. „Der Raum Kassel hat mit seinem schienengebundenen Verkehr einen hervorragenden Standard erreicht, der auch international viel beachtet wird", bilanzierte er und lobte das finanzielle Engagement der Kommunen für die neue Straßenbahnlinie: „Die Straßenbahn nach Vellmar ist ein sehr erfreuliches Stück kommunaler Kooperation mit Beispielcharakter." Nach Angaben der Polizei waren mehr als 850 Vellmarer zu dem Festakt vor der Ahnatalschule gekommen. Dirk Neurath vom Hessischen Rundfunk moderierte den offiziellen Teil der Veranstaltung und leitete nach der Grußansprache von Minister Posch in eine „Talk-Runde" über.

Die Tram: „Jahrhundertprojekt" für die Stadt Vellmar

Vellmars Bürgermeister Dirk Stochla bezeichnete die Straßenbahn mit Blick auf die städtebauliche, verkehrliche sowie finanzielle Bedeutung für die etwas mehr als 19.000 Einwohner zählende Stadt im Landkreis Kassel als „Jahrhundertprojekt". „Das Trassenkonzept überzeugt", sagte er weiter: Durch die allein im Stadtgebiet gebauten sechs Haltestellen könne jeder mit der Bahn alle zentralen Orte erreichen. Pendler von außerhalb etwa könnten an der Endhaltestelle Vellmar-Nord oder an der Haltestelle Dörnbergstraße ihre Autos parken und bequem mit der Tram weiterfahren. Für Schüler der Ahnatalschule, Besucher der Geschäfte am Rathausplatz und der Verwaltung biete sich die Haltestelle „Stadtmitte" als Start- und Zielpunkt an, die Haltestelle Festplatz vor allem für Besucher von kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen und auch das noch junge Wohn-gebiet Musikerviertel sei mit einer eigenen Station an die Tram angebunden.„Ich bin sehr zuversichtlich, dass nicht nur die Menschen in Vellmar, sondern auch die Wirtschaft von dem neuen Verkehrsmittel profitieren werden", sagte Stochla weiter. Erste konkrete Zeichen seien bereits vorhanden, zum Beispiel eröffne eine Woche nach der Inbe-triebnahme der Linie ein Seniorenheim mit mehr als 100 neu geschaffenen Arbeitsplätzen, und auch der Immobilienmarkt erfahre einen Aufschwung. Insbesondere für junge Familien sei ein gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr wichtig für die Frage, ob sie in Vellmar bleiben, sagte der Rathauschef. „Die Straßenbahn ist ein mehr als 100 Jahre altes aber hochmodernes Verkehrsmittel, gerade in Bezug auf den Umweltschutz. Deshalb passt die Tram zu uns als moderne und zukunftsorientierte Stadt".

„Platz für bis zu 160 Menschen, emissionsfrei, und viel Komfort"

„Die Straßenbahn erlebt seit einigen Jahren in Deutschland und international eine Renais-sance, weil ihre Vorzüge wieder erkannt werden", erklärte KVG-Vorstand Dr. Thorsten Ebert. Eine Reihe von Städten und Gemeinden setzten, teils nach vorherigem Abbau der Schienen, jetzt wieder auf die ´Elektrische´. „Sie haben erkannt, die Tram ist aus ökologischen, demo-graphischen und sozialen Gründen die richtige Wahl."

Gerade der Klimaschutz sei ohne gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr nicht möglich. Eine Straßenbahn könne bis zu 160 Menschen gleichzeitig befördern, fahre emissionsfrei und bietet, vor allem in der modernen Niederflurvariante, viel Komfort. Hier sei die KVG mit ihrem hohen Anteil an Niederflurfahrzeugen und barrierefreien Haltestellen bundesweit vorn, und dies gelte auch für den Umweltschutz: Die Bahnen der KVG fahren mit Strom aus erneuer-baren Quellen. Vellmar sei mit der Straßenbahn nun hervorragend mit öffentlichen Verkehrs-mitteln erschlossen, die Zentren von Kassel und Vellmar lägen künftig nur noch 19 Tram-Minuten voneinander entfernt. Auf die Straßenbahn als modernes und zukunftsfähiges Verkehrsmittel zu setzen, „zeugt deshalb überall, gerade aber im ländlichen Raum, von hoher Weitsicht", sagte der KVG-Vorstand.

„Gewachsene Chancen für den Kontakt zwischen den Nachbarstädten"

Kassels Oberbürgermeister Bertram Hilgen betonte ebenfalls die mit der neuen Straßenbahn-verbindung gewachsenen Chancen im Kontakt und Austausch zwischen beiden Nachbar-städten. „Die moderne Gesellschaft braucht Mobilität, und das gilt in besonderem Maße für das Leben in einer Kommune." Er sei überzeugt, dass „die Vellmarer Bürger in den kommen-den Jahren selbst erleben werden, so wie die Kasseler Bürger schon seit vielen Jahren, welch ein Gewinn die Straßenbahn ist."

„Hervorgehobene Bedeutung" der Straßenbahn im Gesamtsystem ÖPNV

Zuversicht, dass die Tram nach Vellmar die gleiche Erfolgsgeschichte wie die nordhessische RegioTram schreiben wird, äußerte Klaus-Peter Güttler, Geschäftsführer des Nordhessischen Verkehrsverbundes (NVV): „Der Straßenbahn kommt im Gesamtsystem öffentlicher Nah-verkehr eine hervorgehobene Bedeutung zu, denn wir wissen aus Befragungen, dass die Trams neben Zügen eine hohe Akzeptanz gerade bei Neukunden haben." Daher trügen Straßenbahnprojekte vor allem im ländlichen Raum Nordhessens wesentlich zur Zukunftsfähigkeit von Kommunen bei.

Die Strecke nach Vellmar ist für die KVG das dritte Schienen-Neubauprojekt in die Region nach den Straßenbahnlinien durch das Lossetal und nach Baunatal.

Im Anschluss an den Festakt und den Empfang begann in Vellmar ein Bürgerfest. An dem Programm hatten sich rund 20 Organisationen, Verbände, Vereine sowie die beiden Kirchen, Geschäftsleute, Chöre, Musikgruppen, die Freiwillige Feuerwehr und Einzelpersonen beteiligt. Die Eröfffnungsfeier für die neue Straßenbahnlinie nach Vellmar schloss am Abend mit einem Konzert der Band Superphonix, Zweitplatzierte beim HR1-Bandcontest, auf der Rathausbühne.

Auf einen Blick: Die neue Tramlinie 1

Länge der Trasse:

  • 4,1 km zweigleisig, davon 150 m eingleisig am Rathaus Vellmar auf Zwillingsgleis
  • neue Gesamtstrecke der Linie 1 von Haltestelle Wilhelmshöhe (Park) bis Endhaltestelle Vellmar-Nord: ca. 13 km
  • Betriebsstreckenlänge der KVG und der RBK GmbH (KVG mit 50% beteiligt) einschließlich Lossetal, Baunatal und Vellmar: 78,5 km.

Bauzeit:

  • Mai 2009 bis Oktober 2011
  • im Vorfeld, von Herbst 2008 bis März 2009, Umbau und Modernisierung der bisherigen Endhaltestelle Holländische Straße in Kassel

Bauplanung:

  • KVV Bau- und Verkehrs-Consulting Kassel GmbH (KVC), Schwesterunternehmen der KVG AG

Bau-Projektleitung:

  • Reiner Brandau, KVG AG

Kosten:

  • ca. 37,7 Mio. Euro einschließlich Umbau Wendeschleife Holländische Straße und Planung sowie für den Umbau der B7/B83
  • zugesagte Zuschüsse/Anteile: Land Hessen: 28,6 Mio. Euro, Stadt Vellmar: 4 Mio. Euro, Amt für Straßenverkehr Kassel: 600.000 Euro, NVV: 500.000 Euro, KVG leistet Restbetrag von voraussichtlich 4 Mio. Euro

Neue Haltestellen:

  • 8, davon eine im Stadtgebiet Kassel (Berliner Straße), 7 im Stadtgebiet Vellmar (Triftstraße, Dörnbergstraße, Festplatz, Stadtmitte, Nordstraße, Musikerviertel, Vellmar-Nord).
  • Dörnbergstraße mit 50, Vellmar-Nord mit 100 Pkw-Stellplätzen für Park & Ride sowie abschließbaren Fahrradboxen.
  • Länge der Haltestellen: 60 m außer Haltestelle Stadtmitte (75 m)
  • alle Haltestellen barrierefrei, mit elektronischen Fahrplananzeigern (Dynamisches Fahrgastinformations-system) sowie Text-to-speech Modus, der auf Tastendruck den Text des Anzeigers in Sprache umwandelt

Besonderheiten:

  • ca. 1,5 km Linksverkehr ab Wendeschleife Holländische Straße bis Abzweig der B7/B83 zur Haltestelle Dörnbergstraße, dort 7 % Steigung auf einer Länge von etwa 80 m, bergab 7,5 %
  • rund zwei km der Gesamttrasse mit Rasengleis belegt, entspricht ca. 12.000 qm Fläche oder fast drei Fußballfeldern

Energieversorgung:

  • 600 V Gleichstrom
  • 2 Unterwerke (an den Haltestellen Dörnbergstraße und Nordstraße)
  • Trams fahren mit Strom aus Wasserkraft der Städtische Werke AG Kassel

Fahrplan:

  • Wochentags in Hauptverkehrszeiten alle 7,5 Minuten, sonst 15 Minuten.
  • nach 20 Uhr und samstags mindestens jede halbe Stunde.
  • Freitags, samstags und vor Feiertagen fahren die Nachtschwärmer (Linie N1) 00.00 Uhr und etwa 3.00 Uhr
  • Betriebszeiten: 5.00 Uhr bis kurz vor Mitternacht.