Um fit für die Zukunft zu sein, muss in Schweizer Grenzregionen zunehmend grenzüberschreitend gedacht werden. Die neue Bahnverbindung Mendrisio-Varese mit Anschluss an den Interkontinentalflughafen Mailand-Malpensa ist ein gutes Beispiel für diese Stossrichtung. Ende Dezember 2014 soll die Eröffnung dieser Linie erfolgen, welche auch die Fahrzeit zwischen der Romandie und Lugano wesentlich verkürzen wird.

Noch wächst Gras im Gebiet Santa Margherita nahe der Tessiner Grenzgemeinde Stabio. Ein Zaun markiert die Landesgrenze zwischen der Schweiz und Italien. Doch die ersten Betonpfeiler stehen in der Landschaft. Im Dezember 2014 sollen hier die modernen S-Bahn-Züge des Verkehrsverbundes TILO (Ticino-Lombardia) von Mendrisio (Schweiz) nach Varese (Italien) verkehren. Auf beiden Seiten – in der Schweiz und Italien – wird versichert, dass dieser Termin eingehalten wird. Mehr noch. «Wir haben mit den Italienern eine Art Wette abgeschlossen, wer mit den Arbeiten zuerst fertig ist», sagt der Tessiner Bau- und Umweltdirektor Marco Borradori.

Effektiv sind die 2008 begonnen Arbeiten für die FMV (Ferrovia Mendrisio-Varese) schon relativ weit fortgeschritten. Etwas abseits der Rampenlichts wird eifrig an der neuen Bahnverbindung gewerkelt, welche auf Schweizer Seite eine Verdoppelung der bestehenden Einspurstrecke Mendrisio-Stabio (4,5 km), den Neubau einer Zweispurstrecke Stabio-Landesgrenze (2 km), die Anpassung der Bahnhöfe Mendrisio und Stabio mitsamt Park & Ride sowie eine Reihe Bauten wie Unterführungen und Brücken beinhaltet.

Von der 17,7 km langen Gesamtstrecke (Mendrisio-Varese) verlaufen 6,6 km in der Schweiz. Im Oktober 2012 wurde beispielsweise die alte Eisenbahnbrücke bei Ligornetto über das Flüsschen Vedeggio abgerissen und innert Stunden durch eine neue ersetzt. Die neue Stahlbetonbrücke war neben dem historischen Viadukt errichtet und in einer spektakulären Aktion verschoben worden.

Kompliziert und aufwändig sind die Arbeiten auf italienischer Seite, wo die bestehende Bahnlinie Varese-Porto Ceresio zum Teil auf Doppelspur ausgebaut wird (4,5 km), aber auch einen neuen Seitenast erhält (3,5 km), der zur Grenze nach Stabio und damit zum Anschluss ans Schweizer Trassee führt. Haltestellen sind in Stabio, Gaggiolo, Arcisate und Induno-Olano vorgesehen, jeweils mit Park&Ride Anlagen. In Arcisate führt die Linie direkt durch Wohngebiete und wird zum Teil aus Schallschutzgründen tiefer gelegt. Das hat während der anhaltenden Arbeiten bereits einigen Protest bei Anwohnern ausgelöst.

Die neue Linie wird in einem Einzugsgebiet mit rund 600'000 Einwohnern die Städte Bellinzona, Lugano, Mendrisio, Chiasso, Como und Varese verbinden. Dabei ist es das erste Mal, dass die S-Bahn TILO ein neues Gebiet mit neuen Gleisen erschliesst. Bisher expandierte TILO auf bestehenden Gleisanlagen und durch eine Verbesserung des Rollmaterials und der Taktfrequenz, beispielsweise nach Albate-Camerlata (Como) und Mailand. Mendrisio wird dank der FMV zu einem Schweizer Knotenpunkt der italienischen öV-Verbindung Como-Varese werden. «Das ist für uns ein ganz wichtiger Meilenstein», sagt Mendrisios Gemeindepräsident Carlo Croci.

Mit dem Regio-Express wird die Fahrzeit Lugano-Varese nur 30 Minuten betragen, mit der S-Bahn zirka 45 Minuten. Die Fahrt von Lugano bis zum Interkontinentalflughafen Mailand-Malpensa wird auf knapp 60 Minuten veranschlagt und soll einmal stündlich angeboten werden. Lugano-Varese ist alle 30 Minuten angesagt.

Aus Tessiner Sicht besteht die Hoffnung, dank der neuen FMV vor allem Pendler zum Umsteigen auf den öV zu bewegen. Im Tessin arbeiten mehr als 50'000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger, davon viele aus der Provinz Varese, die meist das eigene Auto benutzen. Um ein Umsteigen zu erreichen, müssen allerdings noch einige Anstrengungen in Bezug auf eine attraktive Fahrpreisgestaltung, eventuell sogar im Rahmen eines grenzüberschreitenden Tarifverbunds, gemacht werden.

Die FMV ist aber mehr als eine regionale S-Bahn. «Sie ist ein Schlüsselprojekt für die SBB, auch für die Verbindungen Richtung Bern und Westschweiz», betont Philippe Gauderon, Leiter von SBB Infrastruktur. «Es hat für uns etwa die gleiche Bedeutung wie die Durchmesserlinie in Zürich oder Cornavin-Eaux-Vives-Annemasse (CEVA) in Genf», fügt er an. Tatsächlich wird die neue Querspange dank Umsteigens in Gallarate (I) einen Anschluss von Lugano an die Simplon-Linie Mailand-Genf ermöglichen. Die künftige Fahrzeit zwischen Lugano und Lausanne wird auf 3 Stunden und 15 Minuten veranschlagt. Für diese Strecke braucht man heute mehr als fünf Stunden.

Es liegt auf der Hand, dass ein solches Projekt nicht gratis zu haben ist. Zurzeit werden die Kosten auf Schweizer Seite auf 186 Millionen Franken geschätzt. Der Kanton Tessin steuert allein etwas mehr als 100 Millionen Franken bei. Vor kurzem hat der Grosse Rat gegen den Willen der Regierung noch zusätzliche fünf Millionen Franken bewilligt, um den durchgehenden Ausbau auf zwei Spuren auf Schweizer Seite zu ermöglichen.

Auf italienischer Seite werden die Kosten auf 233 Millionen Euro (zirka 280 Millionen Franken) veranschlagt. Die Gelder sind bewilligt. «Wir sind zuversichtlich, dass alles klappt», sagt Galliano Ballarini, Ingenieur bei der italienischen Netzbetreiberin RFI (Rete ferroviaria italiana). Wegen Problemen mit einer Baufirma, hatten die Arbeiten auf italienischer Seite für eine Weile geruht. Doch nun geht es weiter. Auch SBB-Infrastrukturchef Gauderon gibt sich positiv: «Es gab teilweise harte Diskussionen mit den Italienern, aber in jüngster Zeit läuft die Zusammenarbeit hervorragend. »