Eine Studie des Verbands der europäischen Kombi-Operateure errechnet, mit welcher Technologie die Sattelauflieger am wirtschaftlichsten auf die Schiene verlagert werden können. Das bestehende System des unbegleiteten Kombinierten Verkehrs (UKV) schneidet mit Abstand am günstigsten ab. Der geplante 4-Meter-Korridor durch die Schweiz erweist sich als wirtschaftlicher als der Einsatz von Spezial-Rollmaterial. Die Studie wird am 28.11. um 14.00 Uhr in Bern unter Mitwirkung schweizerischer Verbände des Güterverkehrs vorgestellt.
4‐Meter‐Profil für die Verkehrsverlagerung
Damit die Schweiz das gesetzlich verankerte Verlagerungsziel erreichen kann, muss es gelingen, vor allem Sattelanhängerverkehre von der Straße auf den Kombinierten Verkehr zu verlagern. Im herkömmlichen unbegleiteten Kombinierten Verkehr (UKV) ist dafür ein Ausbau der Gotthardlinie auf das Lichtraumprofil P400 erforderlich. Rund 940 Millionen Franken kostet die Anpassung gemäss Vernehmlassungsunterlagen des Bundesrats.
Neue Technologien
Für die Weiterentwicklung des Güterverkehrs und zur Lösung des Profilproblems wurden in den letzten Jahren verschiedene Lösungsansätze mit Spezial‐Rollmaterial ins Spiel gebracht. Hierzu zählen das CargoBeamer‐ System, das in Deutschland im Testbetrieb ist, und das Modalohr‐System mit zwei Verbindungen in Frankreich. Beide Technologien streben den Transport von nicht‐kranbaren Sattelanhängern an. Daneben entwickelt Modalohr auch eine sogenannte UIC‐Variante, mit der 4 Meter hohe, kranbare Sattelanhänger trotz der bestehenden Profileinschänkungen auf der Gotthardstrecke befördert werden sollen. Der Prototyp des Wagens soll 2013 bereit sein.
Fokus auf Praxistauglichkeit
Welche Perspektiven bieten diese Lösungsansätze? Anlässlich der Präsentation der „Studie zum Transport von Sattelanhängern durch die Schweiz" am 28. November 2012 in Bern setzte Martin Burkhardt, Generaldirektor des Dachverbands der Kombi‐Operateure, die neuen Systeme in den Gesamtkontext der europäischen Logistik. Der unbegleitete Kombinierte Verkehr gehört mit jährlich 2,8 Millionen Strassensendungen zu den wichtigsten Produktionsformen des Schienengüterverkehrs. Zwei Drittel des grenzüberschreitenden Volumens fallen im Alpenraum an. „Der unbegleitete Kombinierte Verkehr ist ein industrielles, standardisiertes Produktionssystem mit technisch aufeinander abgestimmten Komponenten", erläuterte Burckhardt. Rund 400 Terminals, 2000 Kräne, 60.000 Bahnwagen sowie 100.000 kodifizierte Wechselbehälter und Sattelauflieger bilden ein offenes, frei zugängliches Transportsystem. Der maritime Verkehr ist mit weltweit 20 Millionen ISO‐Containern perfekt integriert. „Als UIRR beteiligen wir uns an der Weiterentwicklung der Normen und Standards. Neben der technischen Machbarkeit interessiert uns insbesondere die Wirtschaftlichkeit der neuen Systeme. Die Studie, welche das Beratungsunternehmen KombiConsult in unserem Auftrag durchgeführt hat, soll Aufschluss über die betriebliche und verkehrspolitische Wirksamkeit der Systeme geben."
Identische Annahmen für alle untersuchten Technologien
Die Studie vergleicht die UKV‐Standard‐Technologie mit den drei neuen Technologien Cargobeamer, Modalohr und Modalohr UIC unter der Annahme, dass alle Systeme technisch geeignet und verfügbar sind. Für jede Technologie wurden identische Rahmen‐ und Einsatzbedingungen zugrundegelegt, beispielsweise in Bezug auf Zuglänge und ‐gewicht, Typologie der Ladeeinheiten, Betriebsbedingungen der Terminals, Zugauslastung usw. „Wir haben ausschliesslich auf bereits bekannte und veröffentlichte Daten zurückgegriffen.
Im Zweifelsfall wurde die für den jeweiligen Hersteller günstigere Annahme getroffen", unterstrich Rainer
Mertel, Geschäftsführer der KombiConsult. Systemvergleich: bestehender UKV weit vorn
Bei der Zugbeförderungskapazität schneidet der UKV‐Standard wegen des geringeren Wagengewichts etwas besser ab im Vergleich zu den anderen Technologien. Bei der Nutzung der Umschlagkapazitäten erweist sich die vertikale Verladetechnik per Kran als markant leistungsfähiger als die horizontalen Systeme für nicht‐kranbare Sattelauflieger. Das UKV‐Standard‐System ist mit Abstand das flächeneffizienteste, was sich denn auch in einem geringeren Investitionsbedarf je Ladeeinheit‐Kapazität niederschlägt.
Auch bei den Systemkosten schneidet der UKV‐Standard als beste Technologie ab. Für den Vergleich wurden für eine Referenzstrecke alle relevanten Kostenelemente (Ladeeinheit, Umschlag, Waggon, Traktion) je befördertem Sattelanhänger summiert. Mit Ausnahme der Kosten für die Ladeeinheit ist der UKV‐Standard bei allen Kostenkategorien am effizientesten. Der Transport eines Sattelanhängers kostet bei den beiden Modalohr‐Technologien über 30 Prozent mehr als beim heutigen UKV‐System. Die Horizontaltechnologie des CargoBeamers ist sogar um 40 Prozent aufwendiger als der UKV‐Standard.
4‐Meter‐Korridor ist langfristig wirtschaftlicher als der Einsatz von Spezial‐Rollmaterial
Der zweite Teil der Studie beschäftigt sich mit der Frage, mit welcher Technologie das Verlagerungsziel der Schweiz am wirtschaftlichsten erreicht werden kann. Verglichen wurde der UKV‐Standard unter Anrechnung der Investitionskosten für die Einrichtung eines 4‐Meter‐Korridors und das System Modalohr‐UIC unter der Annahme, dass die technische Machbarkeit gegeben und der Wagen international zugelassen ist. „Nach 8‐12 Jahren hat der effizientere UKV‐Standard die Investitionskosten für den 4‐Meter‐Korridor kompensiert", errechnete Mertel. Die Studie belegt, dass das auf langjährigen Standards beruhende UKV‐Ist‐ Systems im Vergleich zu der neuen, teilweise noch zu entwickelnden Modalohr‐UIC‐Technologie die deutlich wirtschaftlichere Option für die Schweizer Verlagerungspolitik darstellt. Dies träfe auch dann zu, wenn die vollen Kosten für die Profilerweiterung im Gotthard‐Korridor von den Zügen der UKV‐Standard‐ Technologie getragen werden müssten. „Der Vergleich der Gesamtkosten zeigt, dass die Schweiz das Verlagerungsziel am effizientesten und angesichts der dauerhaften ökonomischen Vorteile auch am nachhaltigsten mit Hilfe der UKV‐Ist‐Technologie erreichen kann", stellte Mertel fest.
Hohe Systemkosten, hoher Subventionsbedarf?
Nicht nur aus der wirtschaftlichen, sondern auch aus der verkehrspolitischen Perspektive ist die Effizienz der Transportsysteme das zentrale Thema. Die Schweiz subventioniert den Betrieb des alpenquerenden Verkehrs im Rahmen der Verlagerungspolitik, doch damit soll nach der Eröffnung des Gotthardbasistunnels mittelfristig Schluss sein, fordern Schweizer Wirtschaftsverbände wie economiesuisse seit Langem. Die Diskussion über die neuen Verkehrstechniken darf diesen Aspekt nicht ausklammern. Für Rolf Büttiker, Alt‐ Ständerat und Präsident des Transportverbands Cargo Forum Schweiz, ist die Eigenwirtschaftlichkeit auch im Bahngüterverkehr oberstes Ziel. „Können wir uns neben der Rola, die sich als Ergänzungsangebot zum unbegleiteten Kombinierten Verkehr seit Jahrzehnten bewährt hat, ein weiteres Inselsystem mit hohen Systemkosten und einem potentiell hohen Subventionsbedarf leisten?", fragte Büttiker, der dazumal den politischen Prozess für den 4‐Meter‐Korridor als Antragsteller im Parlament lanciert hat.
Offene Fragen: Sicherheitsrisiko und Marktpotenzial
Die neuen Technologien werfen weitere Fragen auf, die einer künftigen Abklärung bedürfen. Der Transport von nicht‐kranbaren Sattelaufliegern bewegt sich ausserhalb des standardisierten, auf Kodifizierungen beruhenden UKV‐Systems. Durch Aufgabe aller Toleranzen am Wagen und mit der Anforderung einer millimetergenauen Verladung gewinnt das Modalohr‐System weitere Höhenzentimeter. Abzuklären wäre, ob dadurch ein Sicherheitsrisiko für den Bahnverkehr entsteht und wer dieses Risiko trägt. Sonderregelungen, die für die neuen Technologien eingeräumt werden, müssten perspektivisch allen Wagenherstellern zugestanden werden, forderte Frank Furrer vom VAP Verband der verladenden Wirtschaft. Und schliesslich stellt sich die Frage, inwiefern es einen Markt für den unbegleiteten Kombinierten Verkehr von nichtkranbaren Sattelaufliegern gibt. "Transportunternehmer, die nicht kranbare Fahrzeuge beschaffen, tun dies, weil sie auf der Strasse fahren wollen", erläuterte Rainer Mertel von KombiConsult. Der Umstieg auf die Schiene unterbleibt, wenn der durchgehende Lkw auf kurzen Strecken günstiger ist, wenn keine Transportorganisation für den Vor‐ oder Nachlauf zur Schiene aufgebaut wird oder wenn keine ausreichenden Volumen vorhanden sind. Unternehmen, die systematisch Angebote im unbegleiteten Kombinierten Verkehr nutzen wollen, werden die geringen Zusatzkosten für kranbare Sattelanhänger mit wenigen Fahrten amortisieren. „Der serienmässige Einbau von Vorrichtungen für die Kranbarkeit der Sattelanhänger würde die Eintrittsbarriere senken und zur Weiterentwicklung des UKV innerhalb des bestehenden standardisierten Systems beitragen", regte Martin Burkhardt von der UIRR abschliessend an.